MITTENDRIN – Judo Ippon – die Gier nach dem perfekten Wurf
Warum treiben Menschen Sport? Was ist das Schöne zum Beispiel an Judo, Hockey oder Tauchen? Sonntag Aktuell sucht die Antworten. In unserer Serie zeigen wir, was jemanden dazu bringt, selbst aktiv zu werden. Wir zeigen den Sport, wie er erlebt wird – mittendrin.
Das optimale Einstiegsalter liegt bei acht Jahren.
„Banzai!“, schreien die Japaner. Auf in den Kampf! Aber der erste Anblick täuscht: Die beiden breit gebauten Judoka stehen sich in ihren pyjamaähnlichen Anzügen zunächst untätig, fast harmlos, gegenüber. Ein Blauer und ein Weißer. Erst das Kommando Hajime – Kämpft – entfesselt die beiden Kämpfer. Sie krallen sich unzimperlich in das reißfeste Stück Stoff, blitzschnelle Angriffsaktionen wechseln sich ab. Hochkonzentriert verfolgen die verzerrten Gesichter die Bewegungen des Gegners. Plötzlich wirbelt der Blaue durch die Luft und landet unsanft auf seinem Rücken. Weiß geht sofort hinterher, hält Blau am Boden fest, Blau wehrt sich nach allen Kräften, es gibt aber kein Entrinnen.
Für einen Judokämpfer ist es das Schönste, seinem Gegner im Wettkampf oder im Training gegenüberzustehen. Ihn bewegen, stellen, in die richtige Situation bringen, um ihn mit einem der zahlreichen Würfe auf die Matte zu befördern. Spektakuläre Techniken ansetzen, kombinieren, gleichzeitig stets darauf achten, nicht selbst ausgekontert zu werden. Sich aus aussichtslosen Kampfsituationen durch Körperwindungen und Reflexe zu befreien – keine Situation gleicht der anderen. Schließlich dies: die eigene gelungene Aktion, ein Schulterwurf – ein Seoi-Nage -, der Gegner landet schwungvoll auf dem Rücken, der vorzeitige Sieg, ein Ippon. Im Judo gilt dies als die perfekte Aktion, der K.o. Das ist es!
Ein Rückblick: Die zahlreichen zerrissenen T-Shirts und Blessuren zwangen meine Mutter in die Knie und ich durfte als Achtjähriger endlich ins Judo. Seit Monaten lag ich ihr schon in den Ohren, statt Lego zu spielen, kämpfte ich schon immer lieber mit meinen Kumpels im Sandkasten. Judo war folglich meine Traumsportart: Dort konnte ich raufen, ohne einen Anschiss zu bekommen, und zwar so viel ich wollte, mit Regeln auf einer Matte, mit richtigen Kampftechniken. Meine Klamotten blieben unversehrt – der Gedanke gefiel auch meiner Mutter.
Mit knapp 30 Kilogramm Lebendgewicht betrat ich schließlich das erste Mal das Dojo, den Übungsraum. Mit großen Augen starrte ich auf den schwarzen Gürtel des Trainers. Respekt! Die Übungseinheit begann richtig schön geheimnisvoll: das rituelle Angrüßen, die Verbeugung vor dem Trainer, dem Sensei, eingeleitet durch japanische Grußformeln. Ein Hauch von Asien! Und ich mittendrin. Cool! Cool war sie dann auch, die erste Stunde. Äußerst kurzweilig sogar. Sie endete damit, dass ich den ersten Wurf konnte, einen O-goshi, und zudem das Bodenkampfturnier gewonnen hatte. Nun war sicher: Das ist genau das Richtige für mich. Kämpfen, mich anstrengen und Japanisch lernen, ich trug zudem einen Anzug mit Gürtel. Das hatte schon was. Kein Fußball, Handball oder Tennis, das kann ja jeder, nein, Judo, die japanische Kampfsportart. Ich zählte die Tage bis zur zweiten Stunde.
Fast 20 Jahre später: Warum ist gerade Judo für mich die Faszination geworden? Gute Frage, schließlich hat Judo mein Leben mehr bestimmt, als ich es mir damals vorstellen konnte. Wettkämpfer, Trainer, Funktionär – alle Seiten habe ich kennen gelernt.
Die Gier nach dem Gefühl eines perfekten Wurfes ist die eine Seite: Sobald man tief unter den Schwerpunkt des Gegners abgetaucht ist, verwandelt sich dieser in eine fast schwerelose Masse, fliegt beinahe ewig durch die Luft. Erst der harte, hörbare Aufprall auf der Matte zeigt, dass der Partner sich doch noch nicht in gewichtslose Materie verwandelt hat. Eine erhebende Emotion. Wer der Bessere ist, ist spätestens jetzt klar. Der Vorteil des Kampfes Mann gegen Mann.
Da fängt die Dialektik dieser Sportart aber auch schon an: Judo heißt zwar soviel wie „der sanfte Weg“ oder „Siegen durch Nachgeben“, mit sanft, geschweige denn mit Nachgeben hat die Zweikampfsportart aber wenig zu tun. Irgendwie genießt man es ja schon, seinem Sportkameraden im Bodenkampf durch verschiedene Techniken oder Druckpunktverlagerungen, gelinde ausgedrückt, ein unangenehmes Gefühl zu vermitteln: „gesunde Härte“, wie es die Judoka nennen. Man mag es drehen und wenden, Schmerz und Anstrengung bis an die Grenze des Erschöpftseins gehören zum Kämpfen dazu. Und Nachgeben ist da ohnehin nicht drin. Ein Hauch von Masochismus? Eher nicht. Nicht das Kämpfen. Das Gewichtmachen dagegen schon.
Die Einteilung in Gewichtsklassen macht vielen Judokämpfern das Leben schwer. An der obligatorischen Kalorientabelle im Geldbeutel erkennt man sie. Nie werde ich sie vergessen, die sechsstündige Busfahrt nach Berlin. Neben meinem schwergewichtigen Kumpel zu sitzen, der sich ein süßes Stückchen nach dem anderen reinzog, während ich meine Trockenpflaumen kaute, damit mein Gewicht stimmte. Der Kampf gegen die Waage muss zuerst gewonnen werden.
Erst die jahrelange Übung und ständige Perfektionierung der Techniken ermöglichen es dem Judokämpfer im Wettkampf einen sich verteidigenden Gegner zu besiegen. Diese penible Arbeit an der Technik macht den zusätzlichen Reiz des Judo aus. Herrlich anstrengend ist das Training: Danach schmerzt jedes Körperteil, aber auf eine eher angenehme Weise, vergleichbar mit einem Muskelkater, der einem zeigt, dass man ordentlich trainiert hat. Dieses Gefühl hat schon was. Richtig ausgepowert zu sein, ermöglicht erst diesen ganz speziellen mentalen Konzentrationszustand, bei welchem die Probleme dieser Welt in weite Ferne gerückt sind. Aber trotz der Härte: Ein Prinzip im Judo ist die Achtung vor dem Partner und dessen körperlichem Wohlergehen.
Auch vom gestrigen Judotraining tut mir jeder Knochen weh. Aber wie sagt man so schön? Das ist gut so! Erst dieser wunderbare Schulterwurf, dann die Haltetechnik, ein Kesa Gatame. Kein Entrinnen für den Gegner. Ich war der Weiße. Tilo Gold
Ippon! Der K.o. im Judo. Die perfekte Aktion, nach der die Aktiven streben. Der Geworfene fällt mit vollem Schwung auf den Rücken. Keine Frage, wer der Sieger ist.
Der Deutsche Judo Bund (DJB) hat derzeit 276 231 Mitglieder. Kontaktadressen: Deutscher Judo Bund, Otto-Fleck-Schneise 12, 60528 Frankfurt, Postfach 71 02 25, 60492 Frankfurt“
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Im Württembergischen Judo-Verband (WJV) sind 18 933 Mitglieder in 165 Vereinen aktiv. Kontaktadresse: Württembergischer Judo-Verband, Telefon: 0 71 51 / 5 19 73, E-Mail: info@wjv.info, Internet: www.wjv.info – hier finden sich auch die Adressen der Vereine.