21. November 2022

Ausrüstung für Historisches Fechten (HEMA)

Warum Schutzausrüstung?

Marcel Blanck beglückwünscht Julian Müller-Hewer
Marcel Blanck aus Herrenberg (rechts) gratuliert Julian Müller-Hewer zum Sieg um den dritten Platz auf der Basilisk Challenge 2022 in Basel.

Beim Schwertkampf, egal ob Langschwert, Messer, Säbel oder Dolch – vollkommen ungeschützt zu sein ist nach einigen Monaten für deinen Fortschritt und den der anderen Trainierenden sehr hemmend.

Du wirst ohne die richtige Ausrüstung nie erfahren, ob deine Techniken und Strategien gegen einen nicht-kooperativen Gegner funktionieren. Dein Trainingspartner kann bei fortgeschrittenen Training zudem nicht gleichzeitig üben zu treffen oder deine Abwehr zu überwinden. Ja, der Wille aufzutreffen selbst muss sogar trainiert werden. Wenn du wissen willst wie, wann und wo wir genau trainieren erfährst du auf unserer Infoseite zum Historischen Fechten (HEMA) mehr darüber.

Nicht-kooperativ trainieren heißt zunächst Techniken unter bestimmten Einschränkungen mit Trefferabsicht, freier Schrittarbeit und nicht abgestimmten Timing zu erproben. Wobei nicht alle Aspekte gleichzeitig vorkommen müssen. Um den Schritt zum Freikampf zu gehen, sind diese Übungen eine wichtige Brücke und sollen möglichst früh angegangen werden. Außerdem machen sie viel Spaß.

Kurzum ohne Schutzausrüstung und Fechtfeder wird das Training langfristig weniger effektiv sein. Weiter unten findest Du konkrete Ausrüstungs-Empfehlungen. Zunächst folgen aber ein paar Übersichten in welcher Reihenfolge wir die Anschaffung empfehlen und was es in etwa kostet. Die Wettkampftauglichkeit bezieht sich dabei auf unsere Haupt-Disziplin das Langschwert.

Bevor du irgendetwas kaufst, nimm bitte mit uns Kontakt auf, da wir eventuell Rat geben oder Rabatt zum Einkauf bei Partner Shops vermitteln können. 

Grundausstattung

Wenn du HEMA sicher trainieren möchtest, ist minimal diese Grundausstattung nötig:

  1. Tiefschutz m/w (ab 20€)
  2. HEMA Fechtmaske (ab 150€)
  3. Spezieller Masken-Überzug mit Hinterkopfschutz (ab 70€)
  4. Federschwert (ab 260€, teils 6 Wochen und mehr Herstellungszeit)
  5. HEMA Handschuhe (ab 160€)
  6. Kehlkopfschutz/Gorget (ab 50€)

Das Federschwert muss regelmäßig geölt werden. Am besten nach jedem Training. Dafür empfehlen wir Ballistol Öl für etwa 10€ je 350ml, was etwa ein halbes Jahr reichen sollte.

Ausstattung für eingeschränkten Freikampf

Um Reflexe ordentlich zu drillen, Technik-Verständnis auf die Probe zu stellen oder sich langsam auf den vollen Freikampf vorzubereiten benötigst du etwas mehr Ausrüstung. Der Unterkörper ist dabei ungeschützt und die Beine können schonmal einen blauen Fleck bekommen, aber ansonsten hat sich dieser Aufrüstungsschritt bewährt, da die Haupt-Trefferzone der Kopf ist. Die Beine dürfen bewusst nicht angegriffen werden um die Knie nicht zu gefährden sofern jemand keine Knieprotektoren hat.

  1. Grundausstattung (siehe oben, insgesamt ab 710€)
  2. 800N Gambeson (ab 350€)
    • alternativ: 350N Gambeson (ab 280€, i.d.R. nicht wettkampftauglich)
  3. Ellenbogen-Hartschalen (ab 25€)
  4. Unterarm-Protektoren (ab 40€)
  5. Plastron/Brustschutz (ab 25€, besonders wichtig für Frauen)

Ausstattung für vollen Freikampf und Wettkämpfe

Um rundum geschützt zu sein fehlt dann lediglich noch der Unterkörper Schutz. Für Wettkampfe ist meist eine stichfeste Fechthose vorgeschrieben. Diese wird beim privaten Sparring oft weggelassen und steht darum zuletzt.

  1. Ausstattung für eingeschränkten Freikampf (siehe oben, insgesamt ab 1150€)
    • alternativ: 350N statt 800N Gambeson (ab 1080€, i.d.R. nicht wettkampftauglich)
  2. Knie-Protektoren (ab 25€)
  3. Schienbeinschoner (ab 25€)
  4. 350N/800N Fechthose (ab 95€, auch 350N meist wettkampftauglich)

Mit ca. 1200 – 1300€ zzgl. Versand ist dann die Ausrüstung vorerst komplett und state of the art. Hier und da kann man natürlich immer mehr investieren, aber das ist eigentlich erfahrungsgemäß nicht unbedingt nötig. Wenn die Ausrüstung gut gewählt wurde (dazu dieser Guide), dann erfüllt sie ihren Zweck viele Jahre. Nur ab und zu müssen schon mal Nieten oder Schnüre ersetzt werden.

Empfehlungen der Einzelteile

Tiefschutz

Für Herren definitiv ein Ausrüstungsgegenstand um die Erbfolge zu sichern. Auch für Damen zu empfehlen. Niemand zielt auf den geschützten Bereich, jedoch kann durchaus ein Hieb oder Stich gelegentlich in die Richtung abgelenkt werden.

Alternativen: Im Prinzip tut es jeder Tiefschutz in dem du dich sicher fühlst und der beim Bewegen nicht stört.

HEMA Fechtmaske

Die Fechtmaske ist der wichtigste Teil der Schutzausrüstung und mitunter das erste Größere was früh angeschafft werden sollte, noch vor einer eigenen Fechtfeder. HEMA-taugliche Modelle haben einen 1600N stichfesten Latz und oft mehr Polsterung und und strukturelle Verstärkung gegenüber regulären Fechtmasken.

Beispiele langjährig genutzter Fechtmasken mit Hinterkopfschutz..

Zur HEMA Fechtmaske gehört auf jedem Fall eine Fechtmaskenpolsterung mit hartem Hinterkopfschutz. Ohne diesen ist die Maske nur bedingt einsetzbar. Die Fechtmaske muss deinen gesamten Kopf, Hals und Nacken schützen.

Alternativen: Es gibt zahlreiche Hersteller und Händler für HEMA taugliche Fechtmasken (Allstar, Uhlmann, Leon Paul, PBT, Red Dragon, uvm.), alle Modelle der Hersteller haben gewisse Vor- und Nachteile. Bei anderen als den beiden Empfohlenen, solltest du dich auf jeden Fall genau informieren (z.B. über online Reviews), sie zur Ansicht bestellen und dich mit uns besprechen.

Federschwert

Wahrscheinlich möchtest du dir das schönste Parade- oder Schaukampfschwert vom Mittelaltermarkt holen und damit antreten. Davon raten wir aber ab, es sei denn es geht um kooperativen Schaukampf mit entschärften Techniken und niedriger Intensität.

Beispiele langjährig genutzter, verschrammter Federn.

Das Federschwert schützt dich und deinen Gegner bei Training und Freikampf. Die Unterschiede zu einem „Schaukampfschwert“ oder normalen, stumpfen Schwert sollen hier kurz dargelegt werden um die Wichtigkeit der Feder-Nutzung zu untermauern: 

  1. Ein Federschwert schützt und schont den Gegner/Trainingspartner beim Stechen, denn sie ist relativ flexibel und hat zudem eine um- oder plattgehämmerte Spitze die den Druck auf eine größere Fläche verteilt.
  2. Sie verringert beim Gegner das Verletzungsrisiko von Hieben, denn die „Klinge“ ist etwas breiter und abgerundeter. Als Bonus schont dies auch die gegnerische Schutzausrüstung und Klinge.
  3. Der eigene Daumen der Führungshand wird durch den sogenannten Schilt über der Parier-Stange geschützt, eine  vorgelagerte, stählerne Schutzfläche, die bei normalen Schwertern nicht vorkommt.
  4. Die Parierstange hat keine spitzen Enden, eher sind diese sogar verdickt oder abgerundet. So kann niemand aus versehen damit gestochen werden, auch nicht beim Ringen am Boden.
  5. Die Pommel (das untere Ende) hat keine spitzen Kanten oder ist sogar bewusst nur Kugel- oder Birnenförmig. So kann sie zum Andeuten von Pommel-Schlägen oder beim Armringen genutzt werden und ist auch beim körperlichen Ringen in jeder Situation viel sicherer für alle Beteiligten.
  6. Optional: Parier-Ringe schützen die Hände sehr gut vor harten Treffern und erlauben Parieren ohne auf die Klingen-Rotation zu achten. Allerdings lassen sich Federschwerter mit Parier-Ringen für viele Wettkämpfe nicht einsetzen, da sie einen unfairen Vorteil verschaffen. Zudem besteht eine erhöhte Verletzungsgefahr, z.B. für die Wirbelsäule beim Bodenkampf, falls jemand auf die Ringe fällt oder draufgedrückt wird.

Disclaimer: In dieser Darstellung geht es nur um die Sicherheitsvorteile von Federschwertern gegenüber üblichen stumpfen Schwertern. Kampfsport birgt aber immer gewisse Risiken, die durch die richtige Ausrüstung, jedoch vor allem auch Training, Konzentration, Fairness und gesunden Menschenverstand deutlich verringert werden können und müssen. Trotzdem sind Verletzungen nie ganz auszuschließen.

Hier empfehlen wir für Einsteiger und Fortgeschrittene definitiv Federschwerter mit Schilt von Peter Regenyei. Die Herstellungszeit kann teilweise ein paar Monate betragen. Soll die Feder schnell ankommen lohnt es sich auch bei diversen Resellern nach Bestandsware zu suchen.

Eine längere Klinge ist nicht zwangsläufig besser, die Länge sollte zu den eigenen Körperproportionen passen. Am besten probierst du das Schwingen einiger Federschwerter deiner Vereinskollegen aus um ein Gefühl dafür zu bekommen.

Alternativen: Im Prinzip sind viele Federschwerter, vieler Hersteller ganz fantastisch einsetzbar und haben eine gewisse Verbreitung. Diese Hersteller sind z.B. Sigi-Forge und Viktor Berbekucz. Achtet aber immer darauf, dass die Feder:

  1. bei weniger als 15kg Druck auf die Spitze eine deutliche Biegung zeigen muss
  2. die Spitze um- oder plattgehämmert sein muss, abgerundet reicht absolut nicht aus für sicheres Stechen, bei Federschwertern geht es primär um Sicherheit, sekundär um Optik
  3. ein wie auch immer gearteter Schilt über der Parierstange deinen Daumen schützt
  4. keine Spitzen und Kanten an Klinge, Schilt, Parierstange oder Pommel eine Gefahr darstellen

HEMA Handschuhe (Langes Schwert)

Es gibt zahlreiche Handschuhe die für HEMA denkbar sind, denn HEMA schließt auch relativ leichte Waffen wie das historisch beschaffene Rapier oder den Säbel mit ein. Doch da unsere Haupt-Disziplin das Lange Schwert ist gelten hier ein paar mehr Anforderungen an den Handschutz. Vor allem muss die Hand durch schlagfeste Materialien geschützt werden und idealerweise ist auch Polsterung vorhanden.

Beispiele langjährig genutzter HEMA Handschuhe.

Leider ist der perfekte HEMA Handschuh noch nicht erfunden worden, auch wenn es schon einige Hersteller versucht haben. Immer wieder bewährt haben sich jedoch folgende Modelle:

Alternativen: Es gibt zahlreiche Hersteller und Modelle und es kommt darauf an wie die persönliche Abwägung zwischen Preis, Beweglichkeit, Schutzwirkung und Haltbarkeit ist. Ein erwähnenswertes Model das eigentlich eine sehr gute Schutzwirkung bei gleichzeitig hoher Beweglichkeit hätte, wäre der Pro Gauntlet, allerdings ist er dafür bekannt teuer und gleichzeitig schadensanfällig zu sein. Was sich nicht empfiehlt sind Red Dragon Handschuhe, Lacross Handschuhe, oder ähnlich beschaffenes da sie gefährliche Lücken in der Schutzpolsterung aufweisen.

Gorget / Ringkragen

Eigentlich zielt beim Training ohne volle Ausrüstung niemand auf den Latz der Maske und schon gar nicht mit voller Intensität. Dennoch kann es passieren, dass ein Stich dort landet. Wenn der Partner dann noch im selben Moment einen Schritt vorwärts macht besteht eine Gefahr für den Kehlkopf. Um diese Gefahr zu minimieren tragen wir ein Gorget, bzw. einen harten Ringkragen.

Beispiele genutzter HEMA Gorgets/Ringkragen.

Das Tragen eines Ringkragens ist bei Wettkämpfen und jeglichem Freikampf Pflicht. Er wird von uns auch zu jeglichem Training empfohlen bei dem die Maske aufgesetzt und Stiche eingesetzt werden. Selbst bei Freikampf mit Schaumstoffwaffen kann ein unglücklicher Halstreffer Treffer schon unangenehm werden.

Wird ein Gorget in Zusammenhang mit einer Fechtmaske mit einem 1600N stichfestem Latz und einem für Wettkämpfe zulässigen Gambeson getragen, haben wir noch nie von einer solchen Verletzung gehört. Garantien gibt es natürlich nicht, aber diese Kombination hat sich bisher bewährt.

Wie immer, gibt es zahlreiche Modelle, aber wir empfehlen das im Bild links abgebildete von Vytis Facebook Seite (Bestellung über Facebook, wir haben aber vollstes Vertrauen und beste Beziehungen). 

Weitere verbreitete Gorgets gibt es von PBT, Destroyer Modz und anderen.

Gambeson

Eine beinahe Standard-Wahl ist das 800N Next Generation Jacket von SPES. Es schützt hervorragend, ist aber bekannt als Warm und im Schulterbereich könnte die Beweglichkeit etwas besser sein.

Ebenfalls sehr verbreitet ist das 800N Arcem Jacket. Es bietet optimalen Schutz im Halsbereich. Allerdings sind die Schultern und Schlüsselbeine etwas weniger gepolstert, dafür aber beweglicher als beim SPES Model.

Ein neues Model auf dem Mark ist die St. George 800N Fechtjacke von Uhlman. Sie sieht etwas klassischer nach Olympischen Fechten aus und ist im Unterarmbereich kaum gepolstert, das kann aber mit entsprechender Ausrüstung obendrauf wett gemacht werden. Die Oberfläche ist etwas kratz anfälliger als bei Baumwoll-Gambesons. Dafür ist es aber die einzige tatsächlich offiziell zertifizierte Gambeson für HEMA auf dem Markt.

Fechthose

Sehr weit verbreitet und bewährt ist die Locust Fechthose von SPES.

Ellebogen-Hartschalen und Unterarm-Protektoren

Hier gibt es Sets oder Einzelprodukte. 

Bewährt hat sich die etwas klobige Kombination von Ellebogen und Unterarmschutz von SPES.

Aber es gibt auch Fechter die auf andere Produkte schwören oder gar etwas selbst gebaut oder mit Erfolg zweckentfremdet haben.

Plastron / Brustschutz

Für Frauen ist das Plastron unbedingt zu empfehlen. Bei Männern ist es optional.

  • Plastron für Frauen (Größe beachten. Falls es nicht ausreicht, heißt es unter Umständen selbst bauen mit Kydex oder ähnlichem. Auch kein Problem.)
  • Plastron für Männer (One size fits all – notfalls mit der Heißluftpistole nachbessern)

Knie-Protektoren

Es gibt zahllose Varianten und keine klaren Favoriten. Am besten schaut man sich anfangs um und greift dann zu dem vielversprechendsten.

Schienbeinschoner

Hier gilt das gleiche wie bei den Knie-Protektoren, es gibt keine klaren Favoriten. Umsehen und später nachkaufen was gefällt.